Longyearbyen und die Kohle

Am 30. Juni 2025, vier Tage vor unserer Ankunft, stellte Grube Nummer 7 als letzte ihre Arbeit ein – nach über 100 Jahren Kohlebergbau in Longyearbyen. Damit endete wahrscheinlich eine Ära, die diese raue Polarwelt geprägt hat wie keine zweite.

Die Stadt wurde 1906 vom US-Amerikaner John Munro Longyear gegründet – daher auch der Name. Er erkannte früh das Potenzial der Kohlevorkommen auf Spitzbergen. In einer Welt vor Erdöl und Atomkraft war Kohle das schwarze Gold. Der Abbau begann noch im Gründungsjahr – mühsam, kalt, gefährlich. Ein Pionierleben mit hoher Unfallrate.

Später übernahm der norwegische Staatskonzern Store Norske. Noch heute durchziehen die markanten hölzernen Seilbahnstützen (Taubanesentralen) das Tal – viele davon umgefallen, einige stehen noch wie vergessene Wachtürme einer untergegangenen Industrie. Dystopisch, aber schön.

Grube 2b, unser Lieblingsrelikt auf dem Weg zum Hotel, hängt wie ein Wespennest in der Felswand. Bis in die 50er- und 60er-Jahren war sie aktiv – berüchtigt für Unfälle und irgendwann einfach aufgegeben. Heute rostet sie still vor sich hin, halb Ruine, halb Mahnmal.

Natürlich krabbeln wir hinauf. Der Blick übers Tal ist spektakulär, die Szenerie surreal. Hier hat jemand buchstäblich die Schaufel fallen lassen und ist gegangen.

Untergebracht sind wir übrigens stilecht im Coal Miners’ Hotel – den früheren Arbeiterbaracken am Talende. Gemütlich, rustikal, ein bisschen aus der Zeit gefallen. Und gleich ums Eck steht das berühmte „Achtung Eisbären“-Schild. Na dann: Glück auf!

Blick auf Coal Miners

Longyearbyen – hübsch-hässlich und jenseits von allem

Der Begriff „hübsch-hässlich“ trifft Longyearbyen ziemlich gut. Spektakulär ist vor allem die Lage: als nördlichste „Stadt“ der Welt. Wobei – bei knapp 3000 Einwohnern ist „Stadt“ vielleicht schon ein bisschen überambitioniert. Ausnahme: Wenn die AIDA anlegt. Dann verdoppelt sich die Bevölkerung innerhalb von Minuten. Für ein paar Stunden herrscht plötzlich Großstadt-Feeling in der Arktis – inklusive Selfie-Wahn und Softshelljacken in Rudelformation.

Und doch hat dieser Ort eine ganz eigene, stille Schönheit. Longyearbyen duckt sich inmitten der gewaltigen Polarlandschaft, umgeben von weiß-grau gestreiften Bergen, die so surreal wirken, als hätte jemand sie direkt aus einem Fantasy-Film geschnitten. Dazwischen: bunte Holzhäuser, wie Farbtupfer auf einer leeren Leinwand.

„Hässlich“ ist relativ. Nur eben kein skandinavisches Bilderbuchidyll. Statt Hygge und nordischem Design trifft man vielfach funktionale Zweckbauten mit skandinavischem Container-Charme, halbfertig wirkende Straßen, Schotterflächen und dicke Rohre, die sich wie lebenswichtige Adern durch den Ort ziehen.

Aber all das hat seinen Grund. Die Häuser werden oft vormontiert angeliefert, stehen auf Stelzen – aus gutem Grund: Wenn der Permafrost auftaut, wird der Boden instabil. Hier regiert der Pragmatismus. Und das ergibt Sinn in einem Ort, der fast die Hälfte des Jahres in Dunkelheit und Eiseskälte erstarrt.

Denn machen wir uns nichts vor: Spitzbergen ist kein Ort für Menschen. Anders als zum Beispiel in Grönland hat es hier nie indigene Bevölkerung gegeben. Diese Inselgruppe war lange Zeit schlicht ein Ressourcenlager: erst Kohle, dann Forschung, heute auch ein wenig Tourismus. Der Mensch ist hier Gast – und das merkt man.

Der alte Kohleumschlagplatz

das alte Longyearbyen